kunstwort [dreizehn]

13 Okt

Herbsttag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleeen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke

Porträtphotographie von Rainer Maria Rilke vom 18. September 1900.

Im Herbst 1902 zog Rainer Maria Rilke (1875-1926) nach Paris, wo er für den berühmten Bildhauer Auguste Rodin arbeitete. In diesem Zeitraum entstand das Gedicht. Seine Erfahrungen in der pulsierenden, aber auch sehr anonymen Metropole Paris fanden Eingang in seinen Roman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“.

Rilke zählt zu den bedeutendsten deutschen Lyrikern, besonders bekannt sind seine Gedichte Herbsttag und Der Panther.

Eine Antwort to “kunstwort [dreizehn]”

  1. Kristina Oktober 13, 2012 um 1:01 pm #

    Es gibt auch eine tolle Vertonung zu dem Gedicht:

    :-)

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